Vielleicht konnte sie den inneren Schmerz nur durch äusseren überwinden / Teil 3

Ihr war kalt, obwohl sie die Heizung voll aufgedreht hatte. Sie zitterte. Sie wusste, was das bedeutete, wollte es aber nicht wahrhaben.

Beinahe zwei Wochen hatte sie nun erfolgreich gegen das böse Etwas angekämpft, das ihren Körper und ihre Psyche auffrisst und zerstört. Zwei Wochen lang hat sie sich selbst bekämpft, sich auf jede nur erdenkliche Art und Weise abzulenken versucht. Freunde. Familie. Ausgang. Tanzen. Sport. Alkohol. Männer. Sex. Doch nichts von all dem konnte die Leere in ihr längerfristig ausfüllen. Nichts von all dem gab ihr das Gefühl, lebendig zu sein.

Sie begann, in ihrer Wohnung auf und ab zu laufen. Konnte sich nicht mehr still halten. Musste diesen Punkt des Entzuges, der sie so kalt erwischt hatte, irgendwie überwinden. Sie war nicht darauf vorbereitet. Bis jetzt hatte sie isch so gut gehalten, war stolz auf sich selbst. Doch nun zitterte sie. Ihr war schlecht. Sie kämpfte gegen eine schier unbesiegbare Übermacht. Sie redete sich selbst zu. Stellte sich unter die kalte Dusche, versuchte was zu essen. Doch nicht half. Sie wollte schreien. Beissen. Kratzen. Auf etwas einschlagen. Sie duschte heiss, auch das half nichts.

Sie schlüpfte in ihre Jogginghose, schnürte die Schuhe, verliess das Haus und rannte planlos los. Die schneidend kalte Luft schmerzte im Hals, ihre Hände waren steif vor Kälte. Doch sie rannte weiter. Schneller und schneller. Trieb sich selbst immer mehr an. Die Kälte, der Schmerz gaben ihr endlich das Gefühl, lebendig zu sein. Sie wollte immer weiterlaufen nie mehr aufhören. Sie konnte das Blut fühlen, das durch ihre Adern strömte, ihr pulsierendes Herz und ihren Atem hören. Sie lebte. Und sie fühlte sich gut. Doch irgendwann einmal erreichte sie den Punkt, an dem sich ihr Körper an die Kälte, die Bewegung und das Tempo gewohnt hatte. Der Adrenalinspiegel sank. Das wunderbare Gefühl des sich lebendig Fühlens verglomm, bis es komplett erlosch. Und ersetz wurde es durch ein Gefühl, das sie innerlich zu zerreissen drohte. Sie fühlte sich als müsste sie sterben. Sie konnte nicht mehr atmen. Ihr Herz zog sich zusammen. Der Schmerz in den Beinen war verschwunden und einer Schwere und Müdigkeit gewichen. Es war vorbei. So wunderbar das Gefühl auch gewesen sein mochte, sie konnte sich bereits kaum noch daran erinnern, als sie ihre Mansardenwohnung wieder erreicht hatte.

Sie duschte erneut. Sie weinte. Sie schrie. Flehte eine ihr unbekannte Macht an, sie zu erlösen. Wollte dieses Gefühl zurück- lebendig sein. Sie versuchte, sich an das Gefühl zu erinnern, das vorhin durch die schmerzende Kälte, das Brennen in den Beinen verursacht worden ist. Schmerz. Vielleicht konnte sie den inneren Schmerz nur durch äusseren überwinden.

Kommentare

  1. Meine Wünsche für dieses und alle darauffolgenden Weihnachten:

    1. dass du nie aufhörst zu schreiben

    2. dass irgendwann einmal ein von dir geschriebenes und signiertes Buch unter meinem Weihnachtsbaum liegt.

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  2. Einer der 7 Zwerge18. November 2010 um 21:59

    Lieblingsblog! <3

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  3. irgendwie habe ich Teil 2 verpennt...:O
    aber teil 3 ist dir super gelungen. woher nimmst du die inspiration dafür? (:

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  4. hättest du interesse daran, dass ich deine geschichte auf meinem blog präsentiere? (also, die mit den bildern)

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