Erwachsenen- Sätze

„Wir lassen uns scheiden.“.

Sie glaubte, den Schmerz in den Augen ihres Vaters erkennen zu können, als er dies sagte, reagierte auf den eigenen Schmerz aber mit Wut. Mit Wut konnte sie viel besser umgehen, als mit diesem ohnmächtigen Schmerz, der von ihr Besitz ergriff.

„Was..?! Das.. das geht doch nicht! Ich… ich… Du hast mir doch versprochen, dass es diesmal halten würde. Das war doch die Voraussetzung, ich meine… das ich euch ganz sicher seid…“. Sie merkte, dass sie zu zittern begann und stand auf, in der Hoffnung, dass es so niemand merken würde. Dieser verdammte Schmerz, schon wieder. Sie kannte ihn zu gut. Dieser Schmerz, der ihr Herz immer dann ergriff, wenn sie im Begriff war, eine geliebte Person zu verlieren- und darauf lief das Ganze ja hinaus.

„Das könnt ihr mir doch nicht antun!“, schrie sie nun, da der Schmerz sie zu überwältigen drohte. Sie wusste, dass dieses Gespräch ihren Vater und ihrer Stiefmutter viel Überwindung gekostet haben musste, doch sie wollte es ihnen nicht noch einfacher machen. Was erwarteten sie überhaupt von ihr? Dass sie das einfach so hinnehmen würde, ihnen viel Glück wünschte für ihre getrennten Wege?

Sie sassen immer noch auf dem Sofa, gebühren Abstand zwischen einander. Weshalb war ihr dieser Abstand nicht schon früher aufgefallen? Dann hätte sie sich innerlich darauf vorbereiten können, ein wenig zumindest, und der Schmerz hätte sie nicht so kalt erwischt. Sie hätte ihr Herz nicht ungeschützt gelassen, sich nicht einer fremden Frau so sehr geöffnet, bis sie dieses liebte, als wäre sie ihre leibliche Mutter.

Als merkte sie, dass sie an sie dachte, stand ihre Stiefmutter auf, machte einen Schritt auf sie zu, „Schätzchen…“, setzte sie an und hob die Hand, um ihr über die Wange zu streichen. Eine Geste, die sie früher so sehr liebte doch nun war alles anders. Wie ins Gesicht geschlagen trat das Mädchen blitzschnell 2 Schritte zurück, wich der Hand ihrer Stiefmutter aus, sah den Schmerz in ihren Augen aufflackern, ignorierte ihn. „Rühr mich nicht an!“, zischte sie, wagte es aber nicht, ihrer Stiefmutter dabei in die Augen zu sehen. Resignierend liess ihr Gegenüber sich wieder aufs Sofa sinken und sah etwas verloren aus, als sie noch einmal ansetzte, um ihren Satz zu beenden. „Es ist nicht wegen dir..“.

Da war er. Auf diesen Satz hatte sie gewartet seit dieses Gespräch begonnen hatte; er machte die ganze Szene perfekt. Ein „Erwachsenen- Satz“, DER „Erwachsenen- Satz“ schlechthin sogar, mal abgesehen von „Dafür bist du noch zu jung, das erklären wir dir einmal, wenn du etwas grösser bist.“. „Erwachsenen- Sätze“, Sätze die die erwachsenen wohl zu Haufe an Lager haben, um ihre Kinder abzuspeisen und das eigene Gewissen zu beruhigen. Sätze, die die Kinder vor der Wahrheit beschützen sollten, alles aber nur noch schlimmer machten. Wie sie sie hasste diese Sätze, sie konnte sie nicht mehr hören.

Als sie darauf nicht reagierte, startete ihr Vater den kläglichen Versuch, seine „Noch- Ehefrau“ zu unterstützen. „Wir beide lieben dich, das weißt du doch..?“. „Erwachsenen- Satz“. Die Steifmutter nickte zustimmend. „Ja, genau! Und dass ich ausziehen werde heisst noch lange nicht, dass wir zwei uns nicht mehr sehen können!“.

Interessant, diesen Satz kannte sie noch nicht. Platz eins der „Erwachsenen- Sätze“ hatte er aber im Nu erobert und sie fragte sich plötzlich, ob diese Sätze wirklich sie oder nicht eher die beiden Erwachsenen ihr gegenüber beschützen sollten…



Kommentare

  1. Gefällt mir. Ich kann ihren Schmerz förmlich greifen, da du ihn so authentisch beschreibst. Nur eine kleine Anmerkung:"Resignierend lässt ihr Gegenüber sich wieder aufs Sofa sinken und sieht etwas verloren aus, als sie noch einmal ansetzt, um ihren Satz zu beenden. „Es ist nicht wegen dir..“." Da ist ein plötzlicher Tempuswechsel.

    Freue mich auf weiteres (=
    Liebe Grüße
    Schmetterling.

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