Der Jäger

Das flackernde Licht der Neonlampe in dem schäbigen Badezimmer blendete ihn. Er musste immer wieder blinzeln, bis sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten. Scheiss-Hotel, dachte er zum wiederholten Mal, als er sich überlegte, weshalb er unbedingt in ein solch billiges Hotel einchecken musste. Er hätte wohl daran denken müssen, dass man nicht beides haben kann- billig und gut. Das ging wohl in keinem Bereich.

Er stützte seine Hände auf dem Lavaborand ab, beugte sich vor und betrachtete sich im Spiegel. Er verstand nun den verschreckten Blick der Rezeptionistin, die seinen Augen immer wider ausgewichen war und auf seine Frage nur mit zittriger Stimme geantwortet hatte. Er sah schrecklich aus, das musste er sich nun selbst eingestehen. Verdammt! Dabei hatte er doch um keinen Preis auffallen wollen.

Sein Haar war fettig und strähnig, stand im wirr in alle Richtungen vom Kopf ab und hätte schon lange mal wieder einen Frisör gebraucht. Dunkle Ringe umrandeten seine Augen, die eigentlich von einem stechend schönen Blau waren. Auch der Dreitagebart schwächte seine verwahrloste Erscheinung nicht im Mindesten ab. Unter anderen Umständen war er schon als durchaus attraktiver Mann bezeichnet worden. Eigentlich schade, denn das Mädchen vorhin wäre ganz süss gewesen. Ein bisschen verschreckt, aber das hätte das Ganze nur noch interessanter gemacht. Aber er hatte sich ja vorgenommen, nicht aufzufallen. Ein anderes Mal vielleicht, dachte er sich.

Er konzentrierte sich wider auf sein Spiegelbild. Wie hatte es nur so weit kommen können? Wie hatte er es nur so weit kommen lassen können? Er sah aus wie ein Verrückter, und sein Körpergeruch konnte er auch nicht mehr als den Angenehmsten bezeichnen. Was soll’s, dachte er, das kann man wieder ändern. Und das musste er.

Nachdem er sich geduscht hatte, stand er nackt vor dem Spiegel. Er zog eine Zahnbürste, die er vorhin im 24-h-Laden um die Ecke hatte mitgehen lassen, aus seiner Hosentasche. Er hielt sie lange unters Wasser, man wusste ja schliesslich nie.

Wie lang er sich nicht mehr die Zähne geputzt hatte, merkte er, als er einen sanften Schmerz verspürte, jedes Mal, wenn die kreisenden Bewegungen der Zahnbürste das Zahnfleisch berührten. Er bemerkte den eisernen Geschmack von Blut in seinem Mund. Er kannte diesen Geschmack nur zu gut. Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, spuckte aus und beobachtete seinen blutigen Speichel, wie er langsam den Abfluss runter glitt. Da war viel Blut. Er leckte sich erneut über die Zähne, um den Geschmack noch einmal verstärkt wahrzunehmen. Er bleckte seinem Spiegelbild die Zähne, verengte die Augen zu Schlitzen. Ja, sauber waren die Zähne nun, doch was ihm entgegenblickte war ein schreckliches Monster. Seine Zähne waren alle rot umrandet, blutrot, und sein Gesicht war zu einer schrecklichen Fratze verzerrt. Er riss den Kopf ruckartig zurück, legte ihn in den Nacken und lachte laut auf. Es war ein verrücktes Lachen, dass jedem, der es je gehört hatte, durch Mark und Bein ging, so dass er den Gedanken an dieses Geräusch mit in sein Grab nehmen würde. Er dachte sich, dass er selbst sich wohl vor sich fürchten würde, wenn er sich nachts begegnen würde. Gut so. Abermals wendete er sich wieder dem Spiegel zu. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, strich sich etwas Gel hinein, das er ebenfalls von dem Laden um die Ecke hatte, dann lächelte er sich an. Er sah verdammt gut aus, jetzt, wo er wieder sauber war. Er dachte kurz noch einmal an das Mädchen unten, verdrängte den Gedanken aber dann wieder. Er schlüpfte in seine massgeschneiderte Hose und zog sich ein weisses Leinenhemd an. Er musste elegant aussehen, vertrauenswürdig und doch nicht zu aufgetakelt. Die Frauen sollten sich begierig nach im umdrehen und deren Ehemänner ihm besorgt nachblicken. Aber er durfte nicht auffallen. Er schaute sich ein letztes Mal im Spiegel an und war zufrieden mit seiner Arbeit. Er zwinkerte sich zu, schnappte sich den Autoschlüssel und verliess das Hotel durch den Hinterausgang. Er ging auf die Jagd.





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