Alt

Mein nächstes Foto für 50f- Alt. Ich muss gestehen, dass ich dabei die Regeln etwas zu meinen Gunsten ignoriert habe. Es ist bereits ein älteres Foto, doch es ist für mich der Inbegriff von "Alt". 

Die alte Frau, die des Lebens müde ist, mit ihrere kleinen Enkelin, die die Traurigkeit ihrer Grossmutter auf eine spezielle Art und Weise übernommen hat. Dieses Bild bringt mich jedes Mal zum Weinen. Die traurigen Augen der Grossmutter, ihr zerfurchtes Gesicht und die Hoffnungsosigkeit in ihrem Blick.  Und die Geschichte hinter den Gesichtern. Die Art und Weise, wie sie sich an ihrer Enkelin festgeklammert hat- ihr einziger Grund, weshalb es sich für sie noch zu leben lohnte. Ihr einziger Grund, warum sie ihrem eigenen Elend nicht selbst ein Ende setzten wollte. Sie konnte kaum noch stehen, geschwiege denn laufen- und doch trug sie die Kleine auf ihrem Arm herum. Verkrümmte Zehen und Finger, ein vom Alter gebeugter Rücken und die Last des Lebens und der Dinge, die sie erleben musste, die sie nieder drückten. 

Alter und Kindheit. Leben und Tod. So nahe bei einander. Der Unterschied zwischen den beiden hätte kaum grösser sein können. Doch in ihrem Blick lag die gleiche Traurigkeit.


 

Maria's Vater hat die Familie im Stich gelassen. Ihre Mutter ist eine Alkoholiker, in die Maria und ihren Bruder geschlagen hatte. Sie suchte Zuflucht im Alkohol und in der scheinheiligen Zuneigung von Männern. Und reichte das Geld nicht für das flüssige Gold, war die Prostitution die Lösung. Wo sie zum Zeitpunkt unseres Besuches war, wusste die Grossmutter nicht. Der kleine Bruder von Maria, der in einem Kinderheim wohnt, hatte uns zu der Grossmutter gebracht. Wir sollten ihr helfen. Er war überzeugt davon, dass wir das konnten- Und ich stand nur da und weinte. 

Alss wir ankamen trafen wir Umstände an, unter denen niemand leben sollte. Doch die alte Frau gab sich Mühe. Sie pflegte einen Garten, dank dessen Ernte sie durch den Sommer und den Herbst kamen. Doch sobald man das Haus betrat, standen einem die Haare zu Berge. Dass es darin nach Alter, Verwesung und Urin stank war das Harmloseste. Dinge, die man ausblenden konnte. Doch wenn ich mir überlegte, dass dieses kleine süsse Mädchen in dem von jensten Tierchen besetzten Bett schlafen musste die abgestandene Luft atmete und so aufwachsen musste schnitt mir die Luft ab. Doch die Grossmutter gibt sich Mühe. Beide Kinder bei sich zu haben wären eine zu grosse Belastung für sie gewesen. Deshalb war der Junge unter der Woche im Kinderheim. Am Wochenende half er ihr Zuhause. Auf die Frage, wo die Mutter der Kinder sei stiegen ihr die Tränen in die Augen. Wut, Trauer, Ohnmacht und Schmerz spiegelten sich in ihren alten Augen. Wo sie sei wisse sie nicht. Wann sie wieder komme, das wisse sie nicht. Ob sie noch lebe- das wisse sie nicht. Im besten Fall lag sie besoffen irgnedwo rum. Vielleicht auch im Bett irgendeines Mannes. Sie wisse es nicht. Möchte es auch nicht unbedingt wissen. Zu gross ist der Schmerz darüber.

Sie hatte ihrer Tochter vergeben. Tat es wohl jeden Tag aufs Neue. Jedesmal wenn sie wieder einmal auftauchte, nahm sie sie auf. Versuchte, sie aufzupäppeln. Einen Draht zwischen ihr und ihrem eigenen Kind herzustellen. Wenn sie trank, versuchte sie darüber hinwegzusehen. Doch jedes Mal wenn sie wieder die Hand gegen ihre Kinder erheben wollte musste sie gehen. Das hatte die Grossmutter sich vorgenommen. So hart es für sie selbst auch sein mochte, die eigene Tochter fortzuschicken. Sie lebte nur noch für die Kinder. Wusste, dass sie die Einzige war, die die Kinder noch hatten. Und vergass ihre eigene Gesundheit darüber.

Die kleine Maria war zum Zeitpunkt als ich sie das erste Mal gesehen habe vier Jahre alt. Am Anfang wollte die Grossmutter sie kaum aus den Armen geben und hielt sie fest, obwohl sie kaum die Kraft dazu hatte. Und die Kleine klammerte sich an ihr fest. Beide der Rettungsanker der jeweils anderen. Und obwohl sie 60 Jahre trennten, hätten sie ähnlicher kaum sein können. Alter und Kindheit. Leben und Tod. So nahe bei einander. Der Unterschied zwischen den beiden hätte kaum grösser sein können. Doch in ihrem Blick lag die gleiche Traurigkeit.

Als die Grossmutter Vertrauen zu uns gefasst hatte und dies auch bei Maria bemerkt hatte, war sie beinahe dankbar, dass sie die Kleine für einen Moment an mich abgeben konnte.

Ich hielt sie auf dem Arm. Diese kleine süsse Maus mit den traurigsten Augen die ich jemals gesehen hatte. Sie klammerte sich an mir fest, den Kopf an meiner Brust und die Arme fest um meinen Hals geschlungen. Innerhalb mehrerer Stunden ist es mir nur zweimal gelungen, ihr ein Lächeln zu entlocken- und dieses Lächeln brach mir das Herz.

Kommentare

  1. In dieses Bild kann man so viel Interpretieren!

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  2. das breicht mits i ds Härz..das Biud, diner Wort..eifach aus!

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  3. Dieser Text und das Bild sind einfach.. atemberaubend. Und endlich verstehe ich auch die Bedeutung dieses Wortes!

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  4. Wo wurde dieses Foto aufgenommen? LG aus Österreich

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  5. ach du scheiße. Das ist das allerallerallerbeste emotionalste Bild, dass ich gesehen habe.
    Und der Text dazu. wooar :-(

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  6. das bild, der text
    so traurig, aber auch wunderschön!

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  7. das bild ist wirklich inpirierend !
    ich liebe es
    und der text ist wahnsinn
    danke :D

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  8. hey, ich habe deinen blog vorgestellt :)
    würde mich freuen, wenn du meinen jetzt auch kurz vorstellen würdest :)
    liebste grüße ♥

    http://lilliannechole.blogspot.com/

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